Im Interview plädiert Florian Bernschneider, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverband Region Braunschweig, für die wesentliche Rolle von klassischen Ausbildungsberufen und spricht für lebenslanges Lernen im Sinne von Weiterbildungen und Qualifizierungen aus.

Florian Bernschneider, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverband Region Braunschweig

Wenn Sie an das Thema Ausbildungen denken, welche Herausforderungen gehen Ihnen dabei durch den Kopf?

Zu viele junge Menschen sehen nur in einem Studium ihr Glück. Dabei öffnet so manches mittelmäßiges Hochschulstudium wesentlich weniger Karrierechancen als eine gute duale Berufsausbildung. Dafür müssen wir wieder mehr junge Menschen begeistern. Ein anderes Thema – und das gilt für beide Wege – ist das Schritthalten mit der Veränderung der Arbeitswelt. Bisher, so mein Gefühl, werden alle drei Jahre neue Studien- und Ausbildungsgänge präsentiert. Damit soll dann deutlich werden: Wir sind am Puls der Zeit. Doch so zeitgemäß das alles klingt, die Halbwertzeit solcher Abschlüsse ist häufig stark begrenzt. Und bevor man Experte für ein hochaktuelles Trendthema ist, sollte man die Grundlagen seines Faches verstanden haben. Deswegen sollten wir wieder stärker auf gute Grundlagenbildung setzen, die uns im Laufe des Berufslebens immer wieder ermöglicht, auf Trends und Veränderungen zu reagieren. Und das ist dann auch die eigentliche Kernfrage: Wie funktioniert Aus- und Weiterbildung im Laufe des Lebens?

Wie würden Sie den Reiz, die Vorzüge von Ausbildungen formulieren?

Ein großer Vorteil ist natürlich, dass man direkt in unternehmerischer Praxis ist. „Wofür lerne ich das eigentlich?“, ist eine Frage, die dich im Studium wesentlich mehr bewegt als in der Berufsausbildung. Man hat sofort einen praktischen Bezug zum Thema, mit dem man sich beschäftigt. Wenn man nach drei Jahren aus dem Studium kommt, hört man ja oft aus dem Unternehmen: Dem müssen wir nun erst einmal beibringen, wie eine Firma funktioniert. In einer Ausbildung hast du das bereits hinter dir.

Welche Wünsche haben Unternehmen aus AGV-Sicht an zukünftige Auszubildende und Mitarbeiter?

Gerade beim Berufseinstieg erwarten die Firmen kein ausgeprägtes Fachwissen oder weitreichende Vorkenntnisse, aber die Basics müssen sitzen: Dreisatz, Prozentrechnung und ein solides Allgemeinwissen. Tatsächlich muss sich unser Bildungssystem die Frage gefallen lassen, warum die Lehrpläne immer voller werden, diese Basis aber auch nach 13 Schuljahren nicht immer sitzt. Das Wort Reife in Hochschulreife oder mittlerer Reife heißt aber mehr als hartes Wissen. Es geht auch um Werte. Pünktlichkeit, Eigenverantwortung und Hilfsbereitschaft lernt man auch und gerade außerhalb der Schule. Vorteile hat also, wer neben seiner schulischen Karriere noch etwas anderes gemacht hat, sei es ein Engagement im Sportverein oder der Kirche. In vielen Betrieben ist das mittlerweile mindestens genauso wichtig wie die Abschlussnote auf dem Zeugnis.

Was würden Sie potentiellen zukünftigen Auszubildenden noch raten?

Man sollte Praktika für sich nutzen, um die eigenen Talente und Neigungen mit der Berufswahl in Einklang zu bringen. Und ganz wichtig: Wenn Du für etwas brennst, warte nicht erst bis zur Ausbildung, um dich damit zu beschäftigen. Wenn dich Elektronik begeistert, bastele schon mal herum. Wenn du etwas mit Kindern machen willst, versuch dich als Babysitter. Wer im Bewerbungsgespräch berichten kann, dass er im Hobby das gemacht hat, was er nun beruflich lernen will, kann sicher sein: Das macht mehr Eindruck als so manche gute Schulnote.

Wie schätzen Sie die Chancen von „klassischen“ Ausbildungsberufen in der Zukunft ein?

So manchen Handwerksberuf gibt es seit Jahrhunderten. Und ich wage mal den Tipp, dass solche Berufe auch den hippen Social-Media-Studiengang von heute überdauern werden. Wer also Sicherheit sucht, ist bei klassischen Ausbildungsberufen gut aufgehoben. Aber klar: Wir erleben aktuell einen Wandel, der manche Berufsbilder stark fordert. Roboter und gerade künstliche Intelligenz ersetzen vor allem ständig wiederholende Tätigkeiten des Menschen. Deswegen ist mancher Bürojob heute nicht mehr so sicher wie vor 20 Jahren. Soziale Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und handwerkliches Geschick - das sind menschlichen Fähigkeiten, die Computer uns nicht so schnell abnehmen werden und sich in vielen klassischen Berufsbildern wiederfinden.

Was raten Sie Unternehmen, um etwa Ausbildungen noch reizvoller zu gestalten?

Unternehmen müssen noch mehr Aufklärungsarbeit leisten. Es gibt etwa immer wieder Betriebe die sich bei uns beklagen, dass sie ganz viele Bewerbungen für den kaufmännischen – aber nicht für den technischen Bereich bekommen. Da sucht ein Maschinenbauer der Region einen Bürokaufmann und 20 Auszubildende in der Fertigungshalle, die vor allem technisch tätig sind. Der Bewerbungshaufen ist dann genau entgegengesetzt: Kaum jemand möchte an der CNC-Fräse in der Fertigungshalle stehen und ganz viele am Schreibtisch sitzen. Ich sage dann immer: „Ladet die Leute doch mal ein und zeigt ihnen beides.“ Man muss als Betrieb deutlich machen, was dann auf die Auszubildenden zukommt und wie die späteren Chancen aussehen. Ich bin mir sicher, dass viele dann ihren Ausbildungswunsch noch mal überdenken und auch für eine technische Ausbildung bereit sind.
 
Sie haben das Thema der Weiterbildungen angesprochen, des lebenslangen Lernens. Benötigen wir an der Stelle noch ein anderes Grundverständnis?

Auf jeden Fall, da muss sich sehr viel verändern. Und es gibt auch keine Pauschalantwort darauf. Es muss gelingen, dass du im Laufe deines Lebens immer wieder an Bildung herangeführt wirst. Mein Studium ist rund zehn Jahre her – und die Halbwertszeit von Wissen liegt etwa bei acht bis zehn Jahren. Das bedeutet eigentlich, dass mein Abschluss heute nur noch die Hälfte wert ist. Die Frage ist also: Was genau tue ich dafür, dass mein Abschluss nicht an Wert verliert und ich am Puls der Zeit bleibe? Dabei stelle ich fest: Ich bin junger Familienvater, muss ein Haus abbezahlen und so weiter. Weder zeitlich, noch monetär, ist es in solchen Situationen leicht, sich herauszuziehen und ständig auf Fortbildungen und Qualifizierungen zu gehen. Die Auftragsbücher in den Betrieben sind rappelvoll, kaum ein Chef schreit „juhu“ wenn man ein halbes Jahr für eine Ausbildung abkömmlich sein möchte. Daran merkt man, wie viele Zwänge um einen herumschwirren, die einen von wichtigen Weiterbildungen abhalten. Und meine Erinnerungen an unser Bildungssystem, an schnelles Auswendiglernen und noch schnelleres Vergessen, bestärken mich auch nicht darin, wieder im Hörsaal Platz zu nehmen. Unsere Zeit verändert sich aber zu schnell, um 40 bis 50 Jahre Berufsleben mit einem Abschluss zu überdauern. Hochschulen und Berufsschulen müssen ihre Absolventen stetig weiterentwickeln, Unterricht und Vorlesungen dafür auch digital zugänglich machen und wir brauchen Rahmenbedingungen, die Weiterbildung und Qualifizierung zeitlich und finanziell zulassen. Das ist die Kernfrage für unser Bildungssystem.

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Location: Braunschweig (div.)
Autor / Credits: Falk-Martin Drescher


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