SZB: Wie bist du zu dem Spitznamen Elvis gekommen?
Elvis: (Lacht). Die Frage kommt immer. Keiner kennt mich als Wolfgang Haberkamm, denn den Spitznamen habe ich schon sehr lange. Letztens kam ein alter Bekannter von früher in die Gaststätte und hat mich mit ´Tag Wolfgang´ begrüßt, aber das ist eher ungewöhnlich. Manchmal weiß ich aber gar nicht ob ich das bin oder ob es eine Kunstfigur ist. Ist ´Elvis´ ein zweites Ich? Oder bin ich das wirklich? Mittlerweile ist es so, dass sich das angenähert hat. Wolfgang Haberkamm ist nur die bürgerliche Fassade. Der Oberbürgermeister nennt mich zum Beispiel `Herr Elvis´- eine neue Variante, aber es ist witzig.

Wolfgang "Elvis" Haberkamm in den Vier Linden

Aber mal zurück zur Frage. Ich war in der 5. Klasse als ich zu dem Spitznamen kam. Mein Vater war Elvis Fan und ich habe Elvis Songs in der Schule parodiert. Ich habe Holzlineale als Gitarre genommen und ´Tutti Frutti´ vor der Klasse gesungen. Plötzlich guckten alle ganz entsetzt und hinter mir stand der Herr Oberstudiendirektor Dr. Armknecht. Der hat mir dann eine gehauen – eine richtige Ohrfeige. Die nachhaltige Situation war dann, dass mich alle Elvis nannten. In der Studienzeit verschwand der Name dann bis zum Berufsleben.

SZB: Dein Lebensmotto?
Elvis: Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik. Den Spruch habe ich schon vor 40 Jahren gesagt, aber jetzt kriegt er erst Wahrheitsgehalt. In meinem Alter (60+) wird die Luft langsam dünner. Deswegen muss ich mir gar nicht so viel vornehmen und genau deshalb habe ich auch keine weiteren Projekte geplant.

SZB: Wenn du sagst das Leben ist zu kurz für schlechte Musik, was machst du in deiner Freizeit und  vor allem welche Musik begleitet dich?
Elvis: Ich höre viel Ton Steine Scherben, die Toten Hosen, The Who und Deep Purple. Und die Stones sind immer gut. Außerdem philosophiere ich gerne und lese am liebsten Satire. Dazu passt auch mein Lieblingsfilm: ´Das Spiel ist aus´. ´Kinder des Olymp´ ist aber auch einer meiner Lieblingsfilme.

SZB: Wie sieht es mit Familie aus?
Elvis: Ich habe drei Familien gegründet, mit jeweils einem Kind. Aber alles nacheinander (lacht). Das erste Mal habe ich mit 20 während meines Studiums in Göttingen geheiratet. Heute treffen wir uns alle einmal im Jahr, alle Kinder und ihre Mütter, dann ihre neuen Partner und wenn die Kinder gerade einen Freund oder eine Freundin haben sind die auch dabei. Einen Enkel habe ich auch schon. Der heißt Max Müller.

Man könnte meinen eine explosive Mischung, doch alle zusammen bleiben sogar über Nacht in einem Hotel an der Weser und jeder redet mal mit jedem. Dazu lecker Essen und Wein... Es klappt.

Zu den "Vier Blinden"

SZB: Du hast nicht immer in der Gastronomie gearbeitet. Was hast du vorher gemacht?
Elvis: Nach meinem Theologiestudium bin ich nach Braunschweig gekommen und habe als Lehrer an der IGS angefangen. Weil es schon fünf Mal ´Wolfgang´ im Lehrerkollegium gab war mein Spitzname wiedergeboren. Nie wurde ich Herr Haberkamm genannt. Ich habe evangelische Religion unterrichtet und den Schülern erklärt, dass sie mit zwölf Jahren religionsmündig sind und den Unterricht verweigern können. Die Alternative waren Werte und Normen. Alle meine Schüler haben sich dann von dem Religionsunterricht befreien lassen und ich konnte Buddhismus, Islamismus und auch andere Themen aufgreifen. Das gab natürlich Stress. Ich habe meinen Job immer gut gemacht, aber dann hatte ich mich in eine Schülerin verliebt. Ich wurde nach einem Verfahren mit Suspendierung gefeuert, trotz Verbeamtung auf Lebenszeit.

Aber das war nur der oberflächliche Grund. Ich war unbequem, kritisch, halt nicht der typische Beamte. Aber ich wollte das Mädel nicht aufgeben und meine Liebe wegschmeißen. Wir haben ein Kind zusammen bekommen und das ist der Jean-Luc vom "Rokoko" und der "Vielharmonie". Dann habe ich ein bisschen gejobbt und anschließend mit Anfang 40 eine Tischlerumschulung gemacht. Ich bin von Beruf her also auch Tischler und habe dann auf dem Bau gearbeitet. Dann war ich Geschäftsführer vom Cosmopolit, einem Edelrestaurant in der Wilhelm-Bode-Straße (heute Suki-Yaki). Die "Linde" war damals meine Stammkneipe und irgendwann hat der Wirt mich gefragt, ob ich sie nicht kaufen möchte. Zwei Monate habe ich dann dort als Kellner gearbeitet und dann habe ich die Linde am 1. April 1993 übernommen. Anfangs dachten die Leute, dass es ein Aprilscherz sei, doch mittlerweile mache ich das seit 20 Jahren.

SZB: Wie kommt es, dass auf dem Eingangsschild von der Linde ´Zu den vier Blinden´ steht?
Elvis: Früher war gegenüber ein Bäcker. Die Gäste der "Linde" haben hier bis morgens getrunken und wenn der Bäcker dann aufmachte, sind sie rüber und haben sich mit ihrem besoffenen Kopf Brötchen geholt. Die Angestellten haben dann gesagt, dass ´zu den vier Blinden´ besser passen würde, da in der Linde nur "Blinde" verkehren. So kam es zu dieser Anekdote.

SZB: Zu allem hast du eine Geschichte parat, wie hängt das mit deinem Job zusammen?
Elvis: Man muss Gästen nicht nur Essen und Trinken verkaufen, sondern auch eine Geschichte erzählen. Essen und Trinken können sie überall. Ich entwickle das aus dem Wort Gastwirtschaft: Ich bin der Wirt und das sind meine Gäste. Der Unterschied von der Gasstätte zu meinem Zuhause ist, dass die Gäste die ich zu mir einlade nicht zahlen müssen. Die Haltung ist die Gleiche.

SZB: Wie hat sich das Publikum verändert?
Die Gaststätte gibt es seit 1896. Ab 1872 war auf dem Gelände eine Brauerei mit Kegelbahn und Tanzdiele und das Publikum waren die Arbeiter, die auch die Häuser im östlichen Ringgebiet gebaut haben. Später, nach 1945 gab es dann für Kohlebriketts ("Treue") Essen und Trinken, also viele Tauschgeschäfte und aus der Zeit stammt die Anekdote ´Kohle für eine Kohlroulade in der Linde´. Damals und bis in die 70iger Jahre bestand das Publikum aus einfachen Leuten. Erst in den 80er Jahren gab es dann ein Paradigmenwechsel. Es kamen Rechtsanwälte, Architekten und Steuerberater. Bei mir vermischt sich das alles. Ein paar "Proleten", einige Studenten, ansonsten Ärzte und Anwälte, Nachbarn, Schauspieler des nahe liegenden Staatstheater: alle sind dabei. Seit die Gststätte rauchfrei ist, kommen viele Familien mit Kindern.

SZB: Die Linde ist übersäht mit Fotos aus alten und neueren Zeiten. Wie kam es zu den vielen Bildern in der Linde?
Elvis: Es gab eine monatliche Ausstellung von Bildern und Fotos in der Linde mit Musik. Für diese monatliche Veranstaltung musste ich eine große Wand frei machen. Ab und zu blieb dann auch was hängen, denn eine leere Wand sollte es danach nicht geben. Wenn es gerade keine neuen Bilder gab, habe ich unter meinem Pseudonym Arthur Schopenhauer meine Bilder von zuhause  angepinnt. Unter dem Pseudonym (denn als Beamter konnte ich damals nicht unter meinem richtigen Namen schreiben) schreibe ich noch heute eine Glosse im "Klinterklater".

SZB: Dein Schatten, auch Paparazzo genannt, begleitet dich immer auf Veranstaltungen und macht Fotos. Wie kam das?
Elvis: Ich weiß gar nicht mehr wie das kam, aber wir waren sofort ein gutes Duo. Sicher liegt es auch daran, dass mein Vater Fotograf war. Meistens gibt es spontane Bilder, wenn ich unterwegs bin oder wenn mal ein "Promi" vorbeikommt. Manchmal lasse ich mich nicht einfach mehr so fotografieren, sondern mein "Papa Razzo" und ich treffen uns und schreiben ein Drehbuch. Was ist interessant, wo gehen wir hin, welche Requisiten brauchen wir?  Im Grunde bauen wir die Bilder schon vorher zusammen und organisieren sie.

SZB: Was machst du neben der Linde?
Elvis: Ich habe meine Kinder und ihre Familien, ich lese viel, nebenbei beschäftige ich mich mit "Zeitchronologien" – z.B. als Theologe weiß ich: Jesus ist eine Witzfigur, denn im Jahre 0 wurde er nicht ans Kreuz genagelt. Das ist eine Erfindung des 11. Jahrhunderts. Auch die Papstlisten sind gefälscht, so viele Päpste gab es nicht.  Und für die Schlechtigkeit in der Welt interessiere ich mich auch. Ich war früher im SDS und Studentenführer. Das prägt. Heute kriege ich die Krise bei Themen wie Ausbeutung, Syrien oder koloniale Unterdrückung.

SZB: Was war dein Highlight 2013?
Elvis: Anfang Juli hatte ich mein Abiturtreffen, da wollte ich zuerst gar nicht hin – 46 Jahre Abitur. Meine ganze Jugend ist weg, dann merkt man erst richtig, dass es scheiße ist, dass das Leben so kurz ist. Das geballte Leben kriegst du dann vor die Füße geschmissen. Ich bin aber doch hin. Mit dem Zug, damit ich mir abends einen knallen kann. Trotzdem war der Abend gut. Und am anderen Tag habe ich durch Zufall auf dem Bahnhof meine alte Liebe wieder getroffen als ich 19 war. In die bin ich noch immer verknallt.

SZB: Möchtest du noch was loswerden?
Elvis: Ich bin ganz zufrieden, meinen Kindern geht es gut, ich habe sehr fleißige und kompetente Mitarbeiter und ein tolles Publikum. Was will man mehr. Das einzige Problem: Ich habe zurzeit keine Frau und bisher hatte ich in meinem Leben immer mindestens eine. Die ersten zwanzig Jahre meine Mutter und danach immer Beziehungen. Jetzt greife ich nachts immer ins Leere, das ist schon sehr enttäuschend.

Vielen Dank für das Interview, Elvis, und dass es zu jeder Frage mindestens eine Geschichte gab. Du bist ein hervorragender Gastwirt mit Köpfchen, mit dem man sich stundenlang unterhalten kann – weit über Smalltalk hinaus.

 

Wenn euch diese Anekdoten gefallen haben und ihr weitere lesen oder mehr über Elvis und das Restaurant Zu den Vier Linden erfahren wollt, geht einfach auf die Webseite www. www.vierlinden.de

 

Copyright und Infos

Der Vier Linden Gastwirt im Gespräch
Location: Zu den Vier Linden (BS)
Autor / Credits: Merle Eggert


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